Nachruf: Prof. Ernst Dieter Gilles (1935 – 2019)

Am 12. Juni 2019 verstarb Professor Ernst Dieter Gilles im Alter von 84 Jahren. Prof. Gilles war von 1968 bis 2005 Direktor des Instituts für Systemdynamik und Regelungstechnik der Universität Stuttgart, von 1997 bis 2008 Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg und seit 2005 Emeritus am Institut für Systemdynamik.
[Foto: Max-Planck-Institut Magdeburg / Bastian Ehl]

Ernst Dieter Gilles wurde am 16. Mai 1935 in Sankt Goarshausen geboren. Nach dem Elektrotechnik-Studium an der Technischen Hochschule Darmstadt mit Promotion bei W. Oppelt und anschließender Habilitation wurde er im Jahre 1968 als Ordentlicher Professor für Mess- und Regeltechnik an die Universität Stuttgart berufen. 1997 wurde Prof. Gilles Gründungsdirektor des Magdeburger Max-Planck-Instituts und ab 1999 Honorarprofessor an der Universität Magdeburg. Bis 2011 leitete er die Fachgruppe Systembiologie am Max-Planck-Institut Magdeburg.    

In seiner über 50-jährigen Tätigkeit als Wissenschaftler und Hochschullehrer hat E. D. Gilles sein Fachgebiet durch richtungsweisende Weichenstellungen entscheidend geprägt. Schon in seinen ersten Stuttgarter Jahren hat er den gänzlich neuen Studiengang der Technischen Kybernetik konzipiert und aufgebaut, um Ingenieure interdisziplinär und grundlagenorientiert auf hohem Niveau auszubilden. Seitdem sind Absolventen dieses Studiengangs für wissenschaftlich anspruchsvolle Tätigkeiten in Industrie und Hochschule besonders gefragt. Daher war es für E. D. Gilles konsequent, sich später an der Universität Magdeburg für die Einrichtung der Studiengänge Systemtechnik und Technische Kybernetik sowie Biosystemtechnik einzusetzen, und damit eine breite interdisziplinäre Basis für die Forschung an dem Max-Planck-Institut zu schaffen. 

Ein wesentliches Kennzeichen und Verdienst von Ernst Dieter Gilles war es, dass er schon früh das besondere Potenzial systemtheoretischer und regelungstechnischer Methoden für die Anwendung in unterschiedlichen Gebieten der Naturwissenschaft und Technik erkannt hat. Dabei waren ihm die experimentelle Absicherung seiner mathematischen Modelle und die praktische Erprobung der entwickelten Konzepte besonders wichtig. Waren es seit seiner Promotion in Darmstadt zunächst die chemische Verfahrens- und Prozesstechnik, denen er zusammen mit seinen Schülern eine Vielzahl von richtungsweisenden Arbeiten gewidmet hat, so kam in Stuttgart das Arbeitsgebiet der Bioverfahrenstechnik mit Schwerpunkt Biosystemtechnik hinzu. Am Max-Planck-Institut in Magdeburg hat er auf dieser Basis das Forschungsgebiet der Systembiologie auf- und ausgebaut.

Eine besondere Erwähnung verdienen die bereits in den siebziger Jahren begonnenen Arbeiten zur automatischen Navigation von Binnenschiffen. Dabei konnte E. D. Gilles aufgrund seiner familiären Beziehung zur Rheinschifffahrt Forschung und Hobby in idealer Weise verbinden. Das entwickelte Navigationssystem zur automatischen Führung von Flussschiffen basiert auf der Zusammenführung unterschiedlicher Sensoren wie Radar, GPS, Kreisel und Laser-Scanner mit elektronischen Flusskarten und wurde sowohl auf institutseigenen Schiffen als auch in enger Kooperation mit der Berufsschifffahrt implementiert und erprobt. Das Projekt, welches für die Ausbildung der Studierenden eine hohe Attraktivität besaß, hat zu zwei erfolgreichen Ausgründungen durch ehemalige Doktoranden geführt.

Für Ernst Dieter Gilles war immer klar, dass eine interdisziplinäre Forschung nur in enger Kooperation mit Fachkollegen aus den entsprechenden Nachbardisziplinen möglich ist. So wurden von ihm an der Universität Stuttgart das Zentrale Schwerpunktprojekt „Bioverfahrenstechnik“ sowie die DFG-Forschergruppe „Methoden zur Modellierung und Berechnung der Dynamik verfahrenstechnischer Prozesse“ initiiert,  die mit dem Landesforschungspreis 1992 von Baden-Württemberg ausgezeichnet wurde. Der aus der Forschergruppe hervorgegangene Sonderforschungsbereich „Rechnerunterstützte Modellierung und Simulation zur Analyse, Synthese und Führung verfahrenstechnischer Prozesse“ diente als Muster für die von Gilles konzipierte Interdisziplinarität des ersten ingenieurwissenschaftlich ausgerichteten Max-Planck-Instituts für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg.

Seine wissenschaftlichen Leistungen wurden u.a. mit dem DECHEMA-Preis der Max-Buchner-Forschungsstiftung (1967),  der Carl-Friedrich-Gauß-Medaille (1992), dem Ernst-Solvay-Preis (1992), dem Nordic Process Control Award (2004), dem Karl-Küpfmüller-Ring (2005) und der Arnold-Eucken-Medaille (2006) gewürdigt. Ernst Dieter Gilles wurde zum Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (1998), zum Korrespondierenden Mitglied der Brauschweiger Wissenschaftlichen Gesellschaft (2000), zum Außerordentlichen Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (2001) und zum Mitglied im Konvent der Technikwissenschaften der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (2002) berufen. Von 1990 bis 1996 war er Mitglied des Senats der DFG. Für seine Leistungen in Lehre und Forschung wurden ihm vier Ehrendoktorwürden von Universitäten im In- und Ausland verliehen.

Als Wissenschaftler und Hochschullehrer hat Ernst Dieter Gilles mehrere Generationen von Absolventen und Doktoranden geprägt und diesen zu ausgezeichneten beruflichen Perspektiven an Universitäten und in der Industrie verholfen. Mehr als 20 seiner ehemaligen Doktoranden wurden zu Professoren an Hochschulen im In- und Ausland berufen. Auch die Wissenschaftspolitik konnte E. D. Gilles von seinen Forschungsvisionen überzeugen. So ist es seinem außerordentlichen Engagement zu verdanken, dass die für eine interdisziplinäre Forschung optimierten Neubauten der Stuttgarter Bioverfahrenstechnik und des Magdeburger Max-Planck-Instituts realisiert wurden. Bei der Eintragung in das Goldene Buch der Stadt Magdeburg hat der Magdeburger Oberbürgermeister Dr. Lutz Trümper im Jahr 2014 Prof. Gilles sehr treffend charakterisiert: „Er gilt als Repräsentant der ‚Stuttgarter Schule‘, beweist ein feines Gespür für neue Entwicklungen und Fragestellungen und besitzt die unabdingbaren Führungsqualitäten, die zum Aufbau des Max-Planck-Instituts von Nöten waren“.

Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Instituts für Systemdynamik sind dankbar für die von Prof. Gilles konzipierte und aufgebaute ‚Stuttgarter Schule‘ der systemdynamischen und regelungstechnischen Lehre und Forschung.

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