Aktive Schwingungsdämpfung für Hafenmobilkrane

Entwurf eines dezentralen Reglers für die aktive Lastpendeldämpfung bei Hafenmobilkränen. Dieses System wird unter dem Namen CYCOPTRONIC als optionale Ausstattung für Hafenmobilkräne von der Firma LIEBHERR Werk Nenzing vertrieben.

Durch die zunehmende Vernetzung weltweiter Märkte steigt das Güteraufkommen, welches auf dem Seeweg transportiert wird, unaufhaltsam. Um die steigende Anzahl umzuschlagender Güter und deren Vielfältigkeit handhaben zu können, muss insbesondere der Umschlagsprozeß mit Hafenkränen verbessert werden. Das in diesem Projekt betrachtete Kransystem ist ein LIEBHERR Hafenmobilkran (LHM). Der LHM ist ein Auslegerdrehkran, der mit einem Fahrwerk ausgestattet ist und damit sehr flexibel in Häfen eingesetz werden kann. Hauptsächlich wird der Kran für den Umschlag von Containern, Schütt- und Stückgütern eingesetzt. Abhängig vom LHM-Typ können Lasten bis 208 Tonnen transportiert werden. Die maximale Ausladung beträgt 58 Meter und es treten Seillängen von über 100 Meter auf.
Der Auslegerdrehkran hat drei Hauptbewegungsrichtungen: Drehen, Wippen (Aufrichten/Neigen des Auslegers) und Heben (vertikale Lastbewegung). Zur Messung des Drehwinkels, des Aufrichtwinkels und der Seillänge ist der LHM mit inkrementellen Winkelgebern ausgerüstet. Zwei weitere Gyroskope messen die Winkelgeschwindigkeit der Lastschwingung in tangentialer und radialer Richtung. Daraus kann mit Beobachtern die Lastposition rekonstruiert werden. Bei dem Beobachterentwurf werden Störungen aufgrund von Rauschen, messprinzipbedingtem Signaloffset und Saitenschwingungen des Seils berücksichtigt. Der LHM wird mit hydraulischen Aktuatoren angetrieben. Hydraulische Rotationsmotoren werden eingesetzt für die Drehbewegung und die Winden des Hubwerks. Der Ausleger wird angetrieben durch einen hydraulischen Differentialzylinder.

 

Die Hauptaufgabe für das Automatisierungskonzept ist die Steigerung der Effizienz und Sicherheit des Güterumschlagsprozeßes. Zur Lösung dieser Aufgabe werden Regelungsstrategien entwickelt, die das Lastpendeln reduzieren und eine Trajektorienfolge der Last garantieren. Die wesentlichen Schwierigkeiten bei der Entwicklung der Kranautomatisierung sind das für diesen Krantyp charakteristische nichtlineare Systemverhalten und die hochgenaue Messung der Lastposition. Die dominanten Nichtlinearitäten sind die Anlenkkinematik des Hydraulikzylinders und die bei einer Drehbewegung in radialer Richtung wirkende Zentrifugalbeschleunigung. Durch diese Beschleunigung sind zusätzlich die Bewegungsrichtungen Drehen und Wippen miteinander verkoppelt.
Der Bediener des Automatisierungssystems, der Kranführer, hat die Möglichkeit zwischen zwei Betriebsarten zu wählen. Im manuellen Betrieb steuert der Kranführer den Kran über Joysticks, wobei unterlagert die Kranregelung das Lastpendeln minimiert. Die Joysticksignale werden als gewünschte Lastgeschwindigkeit interpretiert und in Referenzbahnen für die Trajektorienfolgeregelung umgesetzt. Im halbautomatischen Betrieb, den sogenannten Teach-In Betrieb, werden zusätzlich zu den Joysticksignalen des Kranführers zwei vorab definierte Zielpunkte im Arbeitsraum des Krans ausgewertet. Die Zielpunkte spannen einen erlaubten Sektor im Arbeitsraum auf, in dem der Kranführer die Last auf einer beliebigen Bahn verfahren kann ohne jedoch den Sektor zu verlassen. Damit behält der Kranführer die volle Kontrolle über den Kran und kann trotzdem die Zielpunkte schnell und ohne zeitraubende Feinpositionierbewegungen

Die aktive Lastpendeldämpfung ist dezentral aufgebaut. Jeder Bewegungsrichtung ist ein Regelungsmodul, bestehend aus Trajektoriengenerierung, Vorsteuerung, Ausgangsrückführung und Störbeobachter, zugeordnet. Aus den gemessenen oder rekonstruierten Zustandsinformationen und den Referenzfunktionen des Trajektoriengenerierungsmoduls werden die Eingangsgrößen der Aktuatoren berechnet. Die Trajektoriengenerierung bestimmt zeitindizierte Funktionen für die Referenzposition der Last und deren zeitliche Ableitungen für alle Bewegungsrichtungen unter Berücksichtigung der kinematischen Beschränkungen, wie maximale Geschwindigkeit, Beschleunigung und Ruck. Dafür wird ein Optimalsteuerungsproblem formuliert und online gelöst, welches die Zustandsrückführung des geregelten Systems einbezieht. Für die Lastpendeldämpfung werden nur das Dreh- und Wippwerk berücksichtigt, da durch eine Hubwerkbewegung keine Schwingungen der Last angeregt werden. Da die resultierenden Referenztrajektorien den aktuellen Zustand des Systems berücksichtigen, kann diese überlagerte Rückführung als modellprädiktive Regelung betrachtet werden. Die unterlagerte Trajektorienfolgeregelung hat eine Zwei-Freiheitsgrade-Struktur (2DOF). Die linearisierende Vorsteuerung basiert auf der Methode der Ein-/Ausgangslinearisierung und wird durch eine stabilisierende Rückführung des Ausgangs ergänzt. Die Verstärkungsfaktoren der Rückführung werden mit der Methode der Polvorgabe bestimmt. Beide Teile sind adaptive bezüglich sich ständig verändernter Parameter, wie Seillänge und Aufrichtwinkel.
Die aktive Pendeldämpfung wird erfolgreich unter dem Namen  Cycoptronic® als optionale Ausstattung für Hafenmobilkräne von der Firma LIEBHERR Werk Nenzing vertrieben. Das System wird mittlerweile weltweit eingesetzt, um die Umschlagsleistung und die Sicherheit zu erhöhen. Besonders unerfahrene Kranführer erreichen mit diesem System akzeptable Umschlagsleistungen bei nur geringem Trainingsaufwand. Aber auch für erfahrene Kranführer stellt die aktive Pendeldämpfung eine erhebliche Erleichterung dar.

Ansprechpartner

Dieses Bild zeigt Oliver Sawodny

Oliver Sawodny

Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c.

Sprecher des GRK 2543, Sprecher des SFB 1244

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